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Beziehung und Beziehungsideale/Liebesideale

Wenn ich von "Beziehung" rede, ohne dies näher zu spezifizieren, meine ich damit implizit eine "Liebesbeziehung", d.h. ein Aufeinander-Bezogen-Sein eines Paares bzw. im Kontext von Polyamorie mehrerer Menschen, die ihre Gefühle füreinander als "Liebe" bezeichnen und dabei nicht nur Freundesliebe oder Nächstenliebe oder fürsorgliche Zweckgemeinschaftsbildung meinen, sondern bei denen Romantik, Erotik, Sexualität und/oder äquivalente persönliche Attraktivitätsempfindungen (z.B. Sapiosexualität oder BDSM-Dynamiken) eine wesentliche Rolle spielen.

Dabei zähle ich es auch noch zu einer Liebesbeziehung, wenn es sich um eine "one-way"-Liebe handelt und das/die Gegenüber sich dennoch im gegenseitigen Einvernehmen auf ein bewußtes Miteinander einläßt (z.B. eine*r empfindet "nur" Sympathie, das Gegenüber allerdings Liebe im o.g. Sinn).

Hinweis: Der Begriff "Beziehung" kann auch wesentlich weiter gefasst werden und wird dies gelegentlich auch von mir. So haben alle Menschen, die miteinander in irgendeinem realen oder sogar nur gedanklichen Kontakt stehen, irgendeine Form von "Beziehung" (= Aufeinander-Bezogen-Sein) zueinander. - Man kann dies bedarfsweise spezifizieren, z.B. von "rein sexueller Beziehung" sprechen etc.

Begrifflichkeiten rund um "Ernsthaftigkeit" oder "Priorität"
Einige Menschen unterscheiden noch "Liebesbeziehung" und "Liebesaffäre" und halten Ersteres für "etwas Ernstes" mit der Absicht, auch gemeinsam einen Alltagspartnerschaft zu gestalten, während Zweiteres sich auf gelegentliche (regelmäßige oder unregelmäßige) Treffen beschränkt.

Ich hingegen assoziiere das Wort "Affäre" mit Sex bzw. BDSM-Play ohne Liebesgefühle und verwende es, wenn ein Paar oder eine Kleingruppe sich regelmäßig oder unregelmäßig, jedoch nicht zufällig, recht pragmatisch ausschließlich oder primär zu entsprechenden Aktivitäten trifft. (Es gibt Menschen, die würden solch eine Konstellation als "rein sexuelle Beziehung" bezeichnen und von einer "Affäre" wiederum erst sprechen, wenn sie zusätzlich mit Heimlichkeit verbunden ist - auch hier gibt es also wieder unterschiedliche Begriffsverständnisse!)

Nach meiner Definition ist eine Liebesbeziehung also nicht zwangsläufig eine Alltagsbeziehung, sondern das bewußte Focussieren von "Liebe" entscheidet darüber, ob ich von "Beziehung" oder von "Affäre" spreche. (Ggf. passe ich mich aber auch Ihrem Sprachgebrauch an - wir müssen dies nur vorab klären!)

Wenn es jemandem auch bei "Liebesbeziehungen" mit "Alltagsbeziehungen" nicht "ernst" ist, er*/sie* diese nicht sucht oder sogar explizit vermeidet, wird teilweise auch -sofern mehrere solcher nicht auf Alltag ausgelegte Liebesbeziehungen parallel geführt bzw. angestrebt werden- von "Solypolyamorie" gesprochen, um den autonomen Charakter bzw. die Bindungsunwilligkeit auszudrücken: "solo leben, poly lieben" ist damit dann wohl gemeint.

Es gibt auch unterschiedliche Ansichten darüber, was eine "Primärbeziehung" ausmacht: Es kann damit gemeint sein, dass es die zeitälteste Beziehung eines polyamoren Menschen ist (Priorität bzgl. der Dauer), es kann gemeint sein, dass es die ihm wichtigste Beziehung ist (Priorität bzgl. der emotionalen Bedeutung), es kann gemeint sein, dass es die zeitintensivste Beziehung - oft dann tatsächlich auch die mit gemeinsam geführtem Haushalt / gemeinsam verbrachtem Alltag - ist (Priorität bzgl. der regelmäßig gemeinsam verbrachten Zeit). Teilt jemand letztgenannte Auffassung, definiert er*/sie* alle Beziehungen eines*/r* Solypolyamorist*in ggf. als "Sekundärbeziehungen". Gelegentlich werden "Primärbeziehungen" auch als "Hauptbeziehungen" bezeichnet.

Daran, dass es so viele verschiedene Prioritäts-Zuschreibungen im Beziehungsleben geben kann, sieht man allerdings auch, dass es entsprechend mit der "Ernsthaftigkeit" keine klare Linie gibt. Vielleicht hat etwas, was jemand "nicht ernst zu nehmen" scheint, für ihn*/sie* keine subjektive Priorität, aber andere Aspekte sind ihm*/ihr* hingegen umso wichtiger (und damit "ernster").

Was ist mir ernst in der Liebe?

Bei meiner subjektiven Beurteilung, wann es mit einer Liebesbeziehung "ernst" ist, geht es mir um die Subjektive "Ernsthaftigkeit" oder "Tiefe" der Liebe.

Da ich Beziehung = Liebesbeziehung als "Aufeinander-Bezogen-Sein in bzw. mit Liebe" verstehe und somit über das Gefühl der "Liebe" definiere, ist die Frage, was in "Liebe" alles "drin sein muss", damit sie mein höheres ("ernstes") Ideal erfüllt.

Nachdem ich in einer recht komplizierten Dreiecksbeziehung, wo ich das (solopolyamore) "Einhorn" war, ständig mit dem Beziehungsideal des Alltagspaares kollidiert bin, habe ich mühsam herauskristallisiert, was "tiefe" Liebe für mich von euphorisch-beschwingtem Verliebtsein, von zugeneigter Romantik oder von (zweck)partnerschaftlicher Alltagsgestaltung (incl. gemeinsamer Haushaltsführung und/oder gegenseitigem Übernehmen von Alltagspflichten je nach Befähigung und Neigungsprofil) abgrenzt - wobei ich übrigens keine der vorgenannten Punkte per se verunglimpfen oder abwerten möchte, ich kenne und schätze auch davon jeweils gewisse Seiten.

Aber für mich drückt sich die "ernsthafte" Liebe in den Werten aus, die ich auch als "aktive Liebe"bezeichne:

Aktiv lieben

Darunter verstehe ich die bewußte Bereitschaft und das Bemühen, dem/der Partner*in auch Bestätigung in Form von "Annahme" und von "Gemeinschaftsbildung" zu geben, obwohl dies manchmal schwer fallen mag - insbesondere da, wo unsere Träume bereits zerplatzt sind und wir Seiten entdecken, die uns eigentlich doch nicht gefallen.

Dazu gehört das "Dranbleiben" und das "Hinschauen" bzw. "Kennenlernen", das Arbeiten an Aufbau und Erhalt der Nahwelt, weil wir gemeinsam deren Funktionsvorteile nutzen wollen (vgl. [link 610#liebe-als-edium]"Luhmann: Liebe - eine Übung"[link 610]).

Der Psychiater und Psychotherapeut Scott Peck definierte Gemeinschaft sowohl in Zweierbeziehungen als auch in größeren Gruppen einige Werte bzw. Ziele, die er "Einschließlichkeit, Verbindlichkeit, Konsens, Realismus, Reflexion, Sicherheit" nannte und die ich in eigenen Worten vorzugsweise wie folgt zusammenfasse: Einschließen & Beeinflussen, Bleiben & Behalten, Reflektieren & Fühlen, Zeigen & Dulden.

Obwohl ich nicht alle Ansichten von Peck teilen mag, entspricht mein Verständnis von "aktiver Liebe" einer Gemeinschaftsbildung in der Partnerschaft gemäß der o.g. Kriterien.

Klappt "aktives Lieben" für alle Partner*innen?
Man läuft bei der Konstitution eines funktional idealisierten Beziehungs-Kosmos unter der Prämisse "aktiver Liebe" gelegentlich Gefahr, unabhängig vom jeweiligen Geschlecht sowohl Prinz als auch Prinzession des Gegenübers sein zu wollen - also Rettende*r und Gerettete*r. Manchmal gehen dabei Rettungsversuche aber an den Bedürfnissen des Gegenübers vorbei.

Man kann jemanden so sehr sehen wollen, dass man dessen/deren Nicht-Gesehen-Werden-Wollen versehentlich übersieht. Unter anderem bürdet man durch zuviel Aktivität in der Liebe ggf. dem Mitmenschen eine neue Komplexität auf, die dessen Wunsch nach Komplexitätsreduktion ggf. zuwider läuft.

Mit "aktiver Liebe" reduziert man nämlich keineswegs Komplexität, sondern erhöht stattdessen die Bewältigungskapazitäten. "Aktive Liebe" ist anstrengende Persönlichkeitsentwicklung. Ich schätze darin sehr das bewußte Niederringen eigener Intoleranzen und Inkonsistenzen, sowie zelebrierte Annahme mit Zuhören-Üben und Gesehen-Werden.

Erwartet sich der*/die* Partner*in vom Beziehungs-Kosmos allerdings eine Reizreduktion, so sind das einander ausschließende (oft unbewußte) Funktionsanforderungen an die zu konstituierende Nahwelt. Selbst im liebevollsten Aufeinander-Bezogen-Sein können diese Anforderungen hinsichtlich zugleich Komplexitätsbewältigungshilfe als auch Komplexitätsreduktion als Beziehungsideale also nicht verwirklicht werden.

Dies heißt nicht zwangsläufig, dass keine "Liebesbeziehung" möglich ist, aber die größte jeweilige Hoffnung an Beziehung muss dann ggf. doch davon entkoppelt werden.

Liebesbeziehungen bei abweichenden Idealen

Der vorige Abschnitt zeigt, dass eine Liebesbeziehung grundsätzlich noch möglich ist, wenn "aktives Lieben" das Liebesideal mancher, aber nicht aller, Beteiligten ist.

Wenn aber nur die aktive Liebe als "ernst" eingestuft wird, empfindet der/diejenige die Liebesbeziehung zwangsläufig als defizitär. Dies kann ggf. durch weitere Liebesbeziehungen oder auch durch andere Gemeinschaften ohne Liebe ausgeglichen werden.

Kollidieren die Ansichten bzgl. anderer Beziehungsideale, z.B. Alltagsbewältigungshilfe, ergibt sich grundsätzlich das gleiche Dilemma. Ein*e Beteiligte*r empfindet wohlmöglich die Liebesbeziehung dann als unernst. Dies kann ggf. durch weitere Liebesbeziehungen oder auch durch andere Personen, z.B. Mitbewohner*innen oder professionelle Helfer*innen, ausgeglichen werden.

Grundsätzlich können also auch trotz gegenseitig empfundener Zuneigung die (oft unterbewußten) Erwartungen, was ein Beziehungs-Mikrokosmos erbringen können müßte, um bei der Bewältigung und/oder Reduktion komplexer Überforderungen dem*/der* Einzelnen dienlich zu sein und eine entsprechende Sehnsucht zu stillen, beträchtlich divergieren. Dennoch verwende ich die Wertung "nicht-ernst" mit einem breiten Schmunzeln. Denn "Ernsthaftigkeit" ist ja, wie wir oben bereits gesehen haben, immer relativ auf spezielle Aspekte bezogen und die Relevanz der jeweiligen Aspekte von den jeweiligen Beteiligten quasi willkürlich konstruiert. Das Gegenüber, das "nicht-ernst" liebt bzgl. eines Aspektes, liebt in der Gesamtquantität nicht automatisch auch "weniger", sondern eben "anders". Dies als Bereicherung zu erleben, ist ggf. eine Herausforderung - aber eine lohnenswerte!


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