BlogReflexionen

Über die Freuden von körperlichem und psychischem Streß

Sport und BDSM

Ich mache eher wenig Sport. Zwar genieße ich Trekkingtouren, aber die verstehe ich eher als "Urlaub" - ich trainiere nicht dafür, sondern ich bin froh, dass ich - wenn auch in gemütlichem Tempo - bislang noch ohne morgendliches Jogging o.ä. während meiner Reisen jeden Berg und jede Wegstrecke geschafft habe, die ich mir als reizvolles Ziel vorgenommen hatte.

Seit kurzer Zeit gehe ich aber wieder ins Fitness-Studio. Grund dafür war eigentlich nicht plötzlich erwachter Sportsgeist, sondern eine Warnung des Arztes, daß ich andernfalls sehr osteoporose-gefährdet sei und für mein Alter dringend vorbeugen müsse. Aber nun habe ich eine Jahresmitgliedschaft abgeschlossen und entschieden, auch das reichhaltige Kurs- und Wellness-Angebot zu nutzen. Tja, und bei den Kursen ist dann teilweise schon wirklich Sport (nach meiner Definition!) dabei …

Eines Tages lief ich nach meinem Spinning-Kurs (= Radfahren auf Indoor-Sporträdern zu anspornender Musik) in den Entspannungs-Raum und stellte fest, daß ich mich leicht benebelt fühlte und wildfremde Menschen mit breitem Lächeln angrinste. Genau dasselbe kenne ich von Playparties, auf denen ich ein wirklich geiles Playdate hatte!

Als ich so ein Gefühl das erste Mal auf einer Playparty erlebte und zum WC taumelte, ließ mich jemand Erfahrenes wissen: "Du fliegst ja richtig!" Ich war verblüfft, aber beim Blick in den Spiegel konnte ich selbst in meinen Augen die erweiterten Pupillen sehen. Das war also das berühmte "Fliegen"?

"Fliegt" man vom Sport? Als ich mich bemühte, meine körperlich erschöpften sowie sinnesdeprivierten Empfindungen nach dem Spinning und den Sessions zu vergleichen, stellte ich Gemeinsamkeiten fest: Sport ist wie Sex / BDSM, nur ohne Orgasmus!

Also vielleicht nur "halb so gut"… aber immerhin "besser als nichts"? Auf einmal habe ich mehr Verständnis für Sportler/innen. Und für SMer/innen, die gern Sport-Drill oder auch drillfrei einfach sportliche Herausforderungen in ihre SM-Sessions einbeziehen.

Schon vorher habe ich im Rahmen von Rollenspielen Drill, u.a. Military Drill und/oder Sport Drill, angeboten, aber durch die eigenen oben erwähnten Erfahrungen kann ich die Spiel-Lust des Passiven daran auch als Aktive besser nachvollziehen!

Magensonden / Schlundrohre

Noch ein "Alltags"-Erlebnis vergrößert mein Verständnis für zuvor unnachvollzogene Facetten des BDSM. Schon lange weiß ich, daß einige Klinikerotiker/innen auf das Legen bzw. Schlucken von Magensonden bzw. dickeren Schlundrohren stehen. Ich selbst habe mich damit auseinandergesetzt, ob ich eine entsprechende Nachfrage ebenfalls erfüllen kann und mich anleiten lassen will will, und dazu meinen Lieblings "kink-aware professional" Arzt angeschrieben, der mir allerdings antwortete:

Von der Durchführung her ist das eigentlich nicht schwierig. Schlauch gut mit Gleitmittel einschmieren, dem Patienten gerade durch den Mund (Beissring) einführen und ihn zum ständigen Schlucken auffordern. Vorschieben, bis Magenflüssigkeit aspiriert werden kann, mit Pflasterstreifen fixieren und gut. Aber mögliche Komplikationen sind: reflektorischer Atem- / Herzstillstand und Aspiration mit konsekutiver Aspirationspneumonie. Ich persönlich bin da vielleicht etwas übervorsichtig, aber ich würde es beim BDSM nicht einsetzen, denn wenn es schiefgeht, geht es richtig schief.

Daraufhin habe ich das Thema erstmal "ad acta" gelegt, zumal mich persönlich genitale/anale Klinikerotik und Bloodsports wesentlich mehr reizen.

Aber kürzlich bekam ich eben wirklich, zur Abklärung einer Differentialdiagnose bei unklaren Oberbauchbeschwerden, eine Magenspiegelung verordnet. Und das nahm ich dann doch zum Anlaß, wenigstens mal passive Erfahrungen mit dem Prozedere zu machen.

An der Tür des Sprechzimmers hing ein großgeschriebener Hinweis, daß Patient/inn/en nach dem Eingriff wegen der Narkose-Nachwirkung mehrere Stunden lang nicht am Straßenverkehr teilnehmen dürften. Ich betrat die Anmeldung und bat darum, dass die Magenspiegelung ohne Sedierung gemacht werden möge. Die Schwester meinte trocken: "Sind Sie so hart im Nehmen?" und ich nickte tapfer und hoffte, daß dies auch stimme, obwohl ich eben keinen persönlichen erotischen Kick für mich aus der Behandlung erhoffte.

Es war eklig. Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich war froh, als der Arzt verlauten ließ, daß er schon "auf dem Rückweg" sei. Und noch erleichterter, als es vorbei war. Dennoch riß ich mich zusammen, wischte mir den Sabber ab und unterhielt mich mit ihm sachlich über den Befund. Da ich ja unsediert war, durfte ich danach direkt zu meinem Auto.

Erst als sich die Krankenhaus-Türe hinter mir schloß, setzte das "Fliegen" ein. Und ich war überrascht darüber, denn ich hatte es nicht erwarten. Es war ein "after-spinning"-ähnliches Gefühl: ein Fliegen ohne Orgasmus, dem für mein persönliches BDSM-Empfinden etwas fehlte. Aber auch hierdurch erschloss sich wieder ein Zugang zu einer mir noch relativ suspekten Spielart…

Bungee-Jumping vs. Züchtigung

Als ich, eingeladen von einem erfahrenen Bungee-Springer, meinen eigenen ersten Sprung -und diesen gleich von der Europabrücke- machte, sagte der Einweiser zu uns: "Nirgendwo sonst kann man sein Gehirn so sehr abschalten." Und ich fiel ihm impulsiv ins Wort: "Doch. Da gibt es noch anderes." Ich verkniff es mir, tatsächlich über SM-Sessions zu sprechen, aber das war natürlich, woran ich dachte.

Zweimal nacheinander bin ich gesprungen. Das erste Mal war so schnell vorbei, daß ich den Wunsch hatte, es noch ein zweites Mal zu erleben. Mein Fazit war: "Geil, aber nicht so geil wie eine SM-Session. Und viel zu kurz!"

Ja, es gibt einen Adrenalin-Schub. Noch mindestens 45min später konnte ich die Nachwirkung der Aufregung spüren. Aber was gefehlt hatte, war das langsame Aufbauen einer Spannung, wie ich es von einer intensiven Flogging/Whipping/Caning-Session kenne. Das Hinzulaufen auf einen Höhepunkt. Bevor ich beim Bungee-Springen den Höhepunkt mental/emotional so richtig erfassen konnte, war er bereits vorbei und befand ich mich schon im Auspendeln und warten auf die Boje, an der ich mich zum Emporziehen mit dem Karabiner einhaken sollte. Die Reihenfolge paßte einfach nicht für ein gekonnt zelebrierbares Highlight, zuwenig "davor" und zuviel "danach" bestimmten den Ablauf.

"Fliegen" durch Streß

Allen obigen Beispielen ist gemein, daß es sich um körperlichen Streß handelt. Und zwar um körperlichen Streß, dem man sich wissentlich und aus freien Stücken aussetzt. Jederzeit kann ich vom Fahrrad absteigen, bei der Magensonde hatte ich bzgl. der Sedierung ebenfalls die Wahl und niemand hat mich in die Tiefe geschubst. Außedem war alles quasi risikofrei bzw. gut abgesichert.

Körperliche Streßsituationen und psychische Streßsituationen, denen man unfreiwillig ausgeliefert ist und/oder die echte Gefahren bergen (z.B. im Rahmen einer medizinischen Notfallversorgung) sind, wie ich von Freund/innen und aus Lektüre weiß, sehr häufig Ursprünge für lebenslange Traumata.

Durch die Freiwilligkeit einer Herausforderung scheint sich das Panik-Adrenalin in Lust-Adrenalin zu wandeln. Oder zumindest Zufriedenheit. Genugtuung. Wenn es für Lust (z.B. mangels Orgasmus) nicht subjektiv reicht.

Es ist noch nicht so lange her, daß ich meine Überlegungen zu BDSM-Play mit Psycho-Streß niedergeschrieben habe, und ich glaube, dass sich das oben Genannte ziemlich 1:1 übertragen läßt.

Psychischer Streß, dem sich der Bottom im Rahmen eines SM-Plays safe, sane & consensual aussetzt, verursacht keine Traumata (es sei denn, es werden bereits bestehende Traumata wieder ans Licht geholt…), sondern ist eine coole Challenge. Die nicht zwangsläufig BDSM ist, aber gut zu BDSM passen kann.

Nicht als BDSM einstufen würde ich den freiwillig gewählten körperlichen oder geistigen Streß bei den meisten Extrem-Sportlern, den meisten Anhängern der Tattoo, Piercing- und Bodymod-Szene, diversen Mutproben z.B. unter Jugendlichen (oder immer häufiger: bei Youtube-Publishern) und bei einigen spirituell orientierten Ritualen. Aber alle diese Gruppen / Aktivitäten kennen bzw. begünstigen wohlmöglich dasselbe Gefühl vom "Fliegen". Auch wenn es mit anderen Begrifflichkeiten bezeichnet wird.


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